Latinum in der Lehrerausbildung

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Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Oedipus » Do 4. Apr 2013, 10:49

Latein als unzeitgemäßer bildungsbürgerlicher Ballast? Die NRW-Regierung stellt die Latinumspflicht für angehende Lehrer auf den Prüfstand. Sogar in Bayern gebe es keine Pflicht zum Latinum mehr.


http://www.welt.de/regionales/duesseldo ... affen.html

O tempora, o mores...
Lehrer, die kein Latein können: ein Alptraum!

Wenn man andererseits die Latinumskurse sieht - Zeitdruck, unfähige Dozenten, schlechte Lehrbücher + Materialien, externe Prüfungen - muss man vielleicht an der anderen Seite anfangen, dass kein Schüler ein Abitur ohne Latinum erhält!

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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Sokrates » Do 4. Apr 2013, 11:21

Warnung: polemischer Kommentar, eine Einzelmeinung. Unbegründbar und im Affekt gepostet.

Hui, starke Worte, sehr wahr.
Ich finde es schockierend, was sich da mal wieder ankündigt. Da kann man nichts zu sagen.
Schlimmer aber als Verblödung ist Zwang und Gewalt. Wer sich wirklich für Geschichte als Beispiel interessiert, der lernt Latein, idealerweise freiwillig und begierig. Wen das nicht kümmert, der wird niemals ein echter Historiker, wenigstens wenn es um die Antike und das Mittelalter geht. Pech gehabt. Von romanischen Sprachen will ich nicht erst anfangen. Lehrer soll er dann aber werden können?
Man kann gewisse Bildung als Voraussetzung nehmen, aber niemand zu seinem Glück zwingen. Wenn man kein Latein mehr können muss, dann eben nicht.
Sind wir halt weniger, auch gut. Dann hält man umso mehr zusammen.
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Brakbekl » Fr 5. Apr 2013, 10:50

Die DDR-isierung ist im vollen Gange. Das Programm des Kommunismus läuft ungebrochen weiter, nur daß diesmal die Bürgerlichen im Westen zu Kommunisten gewandelt sind. Natürlich macht Rot-West mit dem klassischen Erbe Schluß. Hamm'se in der Zone auch so gemacht! Man will den "neuen Menschen". Dieser zeichnet sich dadurch aus, daß er jede Verbindung zu seinen Wurzeln gekappt hat. Menschen ohne Geschichtsbewusstsein bilden auch keine Gefühle zu Vergangenem aus. Man will den Menschen heranzüchten, der nach Erreichen der Volljährigkeit seine Eltern umlegt. Latein ist viel zu ethik- und geschichtsbelastet.
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Christophorus » Fr 5. Apr 2013, 12:09

hm,
es ist ja nun nicht so, als ob jeder Lehramtsstudent das Latinum bräuchte, für Sozial- und Naturwissenschaften ja schon mal ganz bestimmt nicht, obwohl es auch da, ebenso wie bei Medizin und Jura, durchaus von Vorteil wäre.
Aber wie stellt man sich denn ein Studium historischer, theologischer, philosophischer Quellen ohne Latein- und Griechischkenntnisse vor?

Mich würde interessieren, was anwesende Forenuser aus den genannten Bundesländern Bayern und Niedersachsen sagen, wo - laut Frau Dr. Seidl, übrigens laut der offiziellen Abgeordnetenliste des Landtags eine promovierte Musikwissenschaftlerin - das Latinum bereits abgeschafft sei:

Zitat: "Bayern und Niedersachsen haben sich bereits von der Latinums-Pflicht verabschiedet."

Ist diese Aussage so pauschal zutreffend?

Gibt es schon erste Erkenntnisse über die Auswirkungen?
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Auron » Fr 5. Apr 2013, 16:24

Die ganze Grundargumentation dahinter ist irgendwie löchrig...

Warum z.B. ist denn Mathematik auch bis in die Abiturprüfung hinein verpflichtend (zumindest hier in Hessen), obwohl die Inhalte der Oberstufe (Analysis, Stochastik, Lineare Algebra) von den meisten Leuten danach direkt überhaupt nicht mehr gebraucht werden?
Zum einen natürlich, weil es das logische Denken an sich schult, zum anderen aber auch als eine Art "sinnvolle Bildungsschranke", denn wer mit Mathematik und damit mit reinem logischen Denken nicht klar kommt, hat sich das Abitur auch nicht verdient, da ihm ein wesentliches Bildungselement fehlt: Wie will man denn später mit komplexeren logischen Systemen jeglicher Art klar kommen, wenn man mit den Schulinhalten der Mathematik nicht klar kommt?

Mit Latein ist es im Grunde ähnlich. Die Inhalte sind im Grunde sogar noch "realitätsnaher" als bei Mathe, da es direkt Verständnis für europäische Sprachgrammatik/Geschichte/Bildung vermittelt, UND es fungiert ebenfalls als Bildungsschranke.


Ich sehe die Ursache dieser ganzen Problematik eher darin, dass die Methodik des Lateinunterrichtes an sich völlig veraltet sowie verstaubt ist und gehörig "renoviert" bzw modernisiert gehört.
Statistiken zeigen, dass sehr viele Leute, auch insbesondere junge Leute (=Schüler) an der Sprache Latein interessiert sind; wenn sie dann jedoch die Unterrichtsmethoden kennenlernen, die sich im Grunde so zusammenfassen lassen...
Grammatik auswendiglernen -> Vokabeln auswendig lernen -> systematisches Übersetzen -> Grammatik auswendig lernen.....
Und wenn man mit der Grammatik durch ist, nur noch: Übersetzen, Übersetzen, Übersetzen, Übersetzen
...dann ist es mit dem Interesse auch ganz schnell wieder vorbei.

Bei jeder anderen Sprache hat sich die natürliche Lernmethode durchgesetzt und sich auch als wesentlich effizienter herausgestellt. Latein mag grammatikalisch etwas umfangreicher und komplexer sein als moderne Sprachen, doch es ist und bleibt eine Sprache, bei der diese Lernmethode nachweislich funktioniert (und auch wesentlich besser...), wie ja z.B. die Orberg-Bücher, die mir hier empfohlen wurden, oder auch die Vivarium-Novum-Akademie, die hier öfters erwähnt wird, beweisen.

Würde zumindest der Schulunterricht endlich mitziehen und damit die Schüler dazu befähigen, Latein im realen Leben wirklich anzuwenden zu können anstatt nur stupides Fließband-Übersetzen zu erlernen, würde sich keiner mehr Gedanken über die Stellung eben jener Sprache machen, denn wie gesagt, das Interesse ist eigentlich bereits von den Leuten, ja selbst von den Schülern ausgehend im Überfluss vorhanden.
Die Leute WOLLEN Latein lernen; das einzige Problem sind die vorsintflutlichen Lehrmethoden.
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Brakbekl » Fr 5. Apr 2013, 17:22

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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Prudentius » Sa 6. Apr 2013, 10:37

Das Programm des Kommunismus läuft ungebrochen weiter, nur daß diesmal die Bürgerlichen im Westen zu Kommunisten gewandelt sind.


Das kann man nicht sagen, bedenke, der Marxismus ist Teil der Aufklärungsbewegung gewesen, die sich als Befreiungebewegung verstanden wissen wollte (die Linie geht von Kant zu Hegel, Marx, Lenin). Wir Lateiner sind nicht ganz unbeteiligt, Kant drückte sich lateinisch aus: "Sapere aude!", Horazzitat, Hegel war ein "Plato redivivus", Marx empfing auf dem humanistischen Gymnasium als guter Lateiner seine Inspiration, Livius-Lektüre, der "Klassenkampf" der plebs, die "Proletarier", der Kampf gegen ungerechte Strukturen im Staate.

Eigentlich wollten die Aufklärer nur das blinde Festhalten an der Tradition bekämpfen, aber sie radikalisierten sich, in dem heute beherrschenden Positivismus wird sie ganz verworfen, und dazu die Metaphysik überhaupt. Das maßgebliche Modell der Evolution kennt "Tradition" nicht, man bemerkt aber mit Schrecken, dass Moral und Ethik eigentlich erst erfunden werden müssten.

Was das sture Lernen und Übersetzen angeht: das konnte man sich früher leisten, das Klassische hatte von selbst soviel Strahlkraft, dass man den Schüler bloß vor die Texte setzen musste, alle Worte schienen überflüssig. Heute ist die Strahlkraft verblasst, da ist der Lehrer gefordert, dem Schüler die Augen zu öffnen.

lgr P. :)
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon marcus03 » Sa 6. Apr 2013, 11:01

Hier Marx´ lat. Abituraufsatz:

http://www.hs-augsburg.de/~harsch/Chron ... _lat1.html

"Verum quam turpis litera!!!" = Ein schöner Ausdruck/Euphemismus für" Sauklaue". :lol:
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Brakbekl » Sa 6. Apr 2013, 12:01

Warum schreibt er den litera mit einem T?

Aber ich schätze, daß es unter den Marxisten weltweit nur mehr eine Handvoll Leute geben mag, die einen solchen Aufsatz auf Latein fertigbringen mögen.
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 6. Apr 2013, 12:16

brakbekl hat geschrieben:Warum schreibt er den litera mit einem T?

Ein kleiner Blick in den Stowasser verrät die Lösung: --> lit(t)era, ae f... ;-)
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Medicus domesticus » Sa 6. Apr 2013, 12:29

Oedipus hat geschrieben:Lehrer, die kein Latein können: ein Alptraum!

So dramatisch würde ich das jetzt nicht sehen. Um welchen Lehrer und welches Fach geht es denn ?. Ich wäre froh, wenn die angehenden Lateinlehrer wenigstens fit in Latein wären (was auch nicht immer der Fall ist..).
Der Run auf Latein ist ungebrochen, zumindest bei uns im alpenländischen Südbayern.. :lol: . 2 meiner 3 Kinder lernen momentan Latein. Die Lernmethoden von heute sind viel angenehmer als noch in meiner Zeit, ebenfalls sind die Bücher ansprechender. Das Ausschlaggebende sind die Lateinlehrer und wie sie Latein und die antike Geschichte vermitteln (ich bin oft schockiert, wie wenig da an Geschichte von Seiten der Lehrer da ist..). Mein Ältester freut sich schon auf die Klassenfahrt nach Pompeij im April (und er ist gut in Latein)... :-D Das finde ich sehr schön, dass das schon in der 8. Klasse angeboten wird.

Was ich noch ergänzen möchte:
Ganz wichtig erscheint mir hier im Forum die Verknüpfung mit der Realität, dh. man kann keine überdimensionalen Forderungen an diese Sprache stellen: Ich finde es toll, dass sich Leute wie RM oder auch illeegoqui oder auch Zythophilus mit seinen Nugae mit dem gesprochenen Latein beschäftigen, aber das Manko ist und bleibt, dass Latein keine gesprochene Sprache heute mehr ist und solche Aktivitäten nur sehr,sehr wenige machen. Wichtiger ist die Kultur und Sprache, ihre antike Geschichte als Lateinlehrer gut den Schülern zu vermitteln als alles andere. Damit möchte ich bewußt die Multipotenz des Lateinischen darstellen und nicht nur auf die Sprache oder auf das Lateinisch-Philogische reduzieren.
Für mich persönlich der optimale Lateinlehrer?.... (hatte ich.. :-D ) ...Kombination Latein, Griechisch, Geschichte..
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon Ludovicus » So 7. Apr 2013, 17:01

Zum Latinum im Lehramtsstudium in Bayern:
ich studiere Englisch/Französisch für Lehramt an Gymnasien in Bayern. Wir brauchen Lateinkenntnisse, das entspricht dem Stand Ende der 9. Klasse. Die Kenntnisse werden durch eine interne Prüfung nachgewiesen. Ein volles Latinum ist nicht mehr nötig.
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon shiny » So 14. Apr 2013, 20:28

Die Welt wird schon nicht unter gehen :D

Ich kann verstehen, dass einige kein Interesse an dieser Sprache haben, dafür liegen deren Stärken oder Interessen eben woanders.
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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon RM » Di 16. Apr 2013, 07:48

Ludovicus hat geschrieben:Wir brauchen Lateinkenntnisse, das entspricht dem Stand Ende der 9. Klasse.

Ich frage mich, ob man das Wesen des Englischen und des Französischen ohne profunde Lateinkenntnisse überhaupt durchdringen kann. Die wahrscheinliche Antwort ist: Man will und tut es gar nicht! Man lernt halt die Sprache, wie sie ist, ein bisschen Literatur und Landeskunde und das war's dann. Wahrscheinlich war das auch schon immer so. Ich frage mich dennoch, warum ohne Not die Anforderungen gesenkt werden. Oder hat man etwa Angst, sonst nicht mehr genug Lehrer zu bekommen? Warum stellt man dann aber nicht einfach Muttersprachler ein, die die Sprachen sowieso besser beherrschen?

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Re: Latinum in der Lehrerausbildung

Beitragvon marcus03 » Di 16. Apr 2013, 08:14

RM hat geschrieben:Oder hat man etwa Angst, sonst nicht mehr genug Lehrer zu bekommen?


Ein wohl kaum von der Hand zu weisende richtige Vermutung, auch angesichts der Tatsache, dass "Lehrer" ein Beruf mit hoher Burn-out-Quote ist, die immer mehr Kandidaten abzuschrecken scheint. Auch der sichere Beamtenstatus hat offenbar seinen Reiz verloren.
Mit Seneca könnte man sagen: Magister/Magistra esse militare est. :(

cf:
http://www.mensana-ag.de/stress-fordert ... nout-opfer
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